Landschaften fliegen vorbei,
wird ein langer Weg.
Als Spaetaufsteher verabschiedet sich Matthew, der neuseelaendische Jazzgitarrist schon am Abend vorher und wuenscht mir "a good trip".
Es wird auch ein guter Reisetag. Ich verlasse die Insel Chiloe und dank Jose Mansillas fruehem Fruehstueck kann es mit einem Pullman-Bus um 7 Uhr schon losgehen und zwar fuer den Spottpreis von umgerechnet 38 €.
Aber die Fahrt wird lang, sehr lang. Ich befinde mich "erst" ca. 1300 km suedlich von Santiago. Jetzt geht´s nochmal 2000 km mit der Linie Cruz del Sur weiter nach Sueden. Aber das ist alles nur Luftlinie, denn die Fahrt fuehrt in weitem Bogen ueber Argentinien, vorbei an Scholila, wo sich vor etwa 100 Jahren die "2 Banditen" Butch Cassidy und Sundance Kid erfolgreich vor der

nordamerikanischen Strafverfolgung versteckten, weit ´rueber zum anderen Ozean, dem Atlantik. 35 Stunden wird diese Busfahrt dauern. Schon nach 2 Stunden ging´s mit der "cruz del sur-eigenen" Faehre auf´s Festland.
Chiloe ade und danke, virgencita, dass ich von der magischen Insel entkommen durfte.
Im Bus komme ich mit diesem Herrn in´s Gespraech, der mir irgendwie sympathisch ist.
Er heisst Mauricio Dasse Brauning und ist deutschstaemmig, aber in Chile geboren. Als er hoert, dass ich aus Deutschland komme, beendet er unsere englisch-spanische Konversation und moechte nur noch deutsch mit mir sprechen.
"Wie alt sind Sie, Mauricio", frage ich neugierig. "Vierunfuenssig", antwortet er, und ich stutze und ueberpruefe meine Recherche:"Und in welchem Jahr wurden Sie geboren?" - "Neunssehnhundertvierunvierssig." Mir geht ein Licht auf, dass er sich nicht aus Eitelkeit, sondern aus mangelnder deutscher Zahlenkenntnis 10 Jahre juenger gemacht hat.
Waehrend der langen Busfahrt flammt unser Gespraech immer wieder auf, und ich erfahre hoechst interessante Dinge von ihm:
-z.B., dass sein Urgrossvater "Dasse" aus Berlin stammte und seine Urgrossmutter "Brauning" aus Stuttgart (ich liebe diese nord-sued-connections). Dieses deutsche Gruenderpaar kam im vorletzten Jahrhundert ueber den Hafen Valdivia nach Chile. Sie folgten der grossen deutschen Einwanderungswelle, die etwa um 1850 begann.
Auch Sabinas Urgrosseltern, die Tafelmachers, landeten per Schiff in Chile, allerdings im groessten Hafen Valparaiso und erst 1889. Sie wollten nur wenige Jahre in Santiago bleiben, da Prof. Tafelmacher dies seiner Mutter versprechen musste. Doch als diese starb, wurden aus den wenigen Jahren fast 15 glueckliche und abenteuerliche Jahre.
Kurz vor meiner Reise las ich das hoechstspannende Tagebuch von Sabinas Urgrossmutter. Darin beschreibt sie,
-wie ihr Mann als "beliebter"Professor an der Universitaet von Santiago Vorlesungen hielt,
-wie gross diese Stadt sei mit Hunderttausenden von Einwohnern (heute 5-6 Mio.),
-wie heiss es dort im Sommer (Mitte Dezember - Mitte Februar) sei,
-wie sie waehrend dieser Zeit immer auf ihren weit suedlich gelegenen Landsitz geritten seien,
-wie gluecklich vor allem die Kinder "auf dem Lande" waren und wie sie quengelten, wenn`s danach wieder zurueck nach Santiago ging,
-wie eine bedrohliche Revolution in Santiago, die sich auch gegen Deutsche richtete (kurioserweise aber von einem deutschen General angefuehrt wurde) buchstaeblich (und kurz vor Tafelmachers Haus) im Regen endete, da Chilenen weder gerne im Regen arbeiteten, noch Revolution machten. Getreu dem Motto: Bei Schlechtwetter faellt die Revolution aus,
-wie ihre Tochter (Sabinas Oma) an einem Abend unbedingt im Bett ihrer Eltern schlafen wollte und alle Versuche, dies abzuwimmeln scheiterten, weil das Kind so hartnaeckig blieb,
-und wie in der Nacht ein Erdbeben das Haus erschuetterte und sich ein grosser Holzbalken von der Decke des Kinderzimmers loeste, auf das Kinderbett fiel und das Kind erschlagen haette, wenn es auf seine Eltern gehoert haette.
-Oft aeusserte die durch Klarheit und Hartnaeckigkeit Gerettete selbst als betagte alte Dame, dass sie noch einmal ihr Geburtsland Chile wiedersehen wolle. Dieser Wunsch erfuellte sich bis zu ihrem Tode jedoch nicht mehr.
Zurueck zu Mauricios Grossmutter:
Die ebenfalls in Chile Geborene beharrte zeitlebens darauf, statt Spanisch innerhalb der Familie nur Deutsch zu sprechen. Das aenderte jedoch nichts daran, dass alle ihre Enkelinnen und Enkel (wie Mauricio) chilenische Partner heirateten und nur noch Spanisch miteinander sprachen.
Mauricios Kinder konnten auf der Deutschen Schule teilweise Deutsch als Fremdsprache "zuruecklernen", empfanden das aber als Mehrfachbelastung, da saemtliche Faecher in Deutsch unterrichtet wurden und sie keine Vorkenntnisse aus dem Elternhaus hatten. So ist der Trend ruecklaeufig, und "Deutschsprechen" ist ein Auslaufmodell bei juengeren Generationen.
Selbst Mauricio muss bei mir nachlernen, aber da helf` ich doch gerne und ihm gefaellt`s.
Er fragt mich, ob ich die Geschichte des deutschen Kriegsschiffs Graf Spee kennen wuerde. Ich verneine.
Gegen Ende des 2. Weltkrieges haette sich die Graf Spee noch auf Feindfahrt um den suedamerikanischen Kontinent befunden. Auf dem Weg entlang der Kueste Argentinien hoch nach Uruguay wartete kurz vor Uruguay ein starker englischer Flottenverband mit weit ueberlegener Feuerkraft. Der deutsche Kapitaen wiedersetzte sich dem Befehl Hitlers, bis zum letzten Mann zu kaempfen und liess alle in die Rettungsboote gehen.
So ruderte man den Englaendern entgegen, und gleichzeitig explodierten die Sprengsaetze auf der zurueckgelassenen Graf Spee. Deutsche Militaertechnik sollte nicht in Feindeshand fallen. Der Kapitaen erschoss sich, weil er sein Schiff aufgegeben hatte. Aber dadurch hatte er seine Maenner gerettet. Sie ueberlebten in der Gefangenschaft, und viele von ihnen kehrten nach Kriegsende nicht nach Deutschland zurueck, sondern blieben in Chile. Einer der Schulfreunde von Mauricio war der Sohn eines Graf-Spee-Matrosen.
Zu guter Letzt erfahre ich noch, dass der Sueden Patagoniens einmal komplett zu Chile gehoerte. Zur Zeit der Kriege gegen Peru und Bolivien, als Chile im Norden "Landgewinn" betrieb, wollte man einen 2-Fronten-Krieg vermeiden und ueberliess Argentinien kampflos Teile der "wertlosen" Pampas im Sueden. Spaeter wurden dort in Kuestenregionen einige umfangreiche Petroleumvorkommen entdeckt. Pech gehabt, Chile!
Heute verlaeuft die Grenze entlang der hoechsten Punkte der Andenkordilleren.
Als wir nach ueber 30 Stunden gemeinsamer Fahrt Punta Arenas erreichen, verabschiedet sich Mauricio auf deutsch von mir und wuenscht mir eine gute Weiterreise.
Das kann ich brauchen, denn morgen frueh bereits werde ich Puntas Arenas, die suedlichste Kontinentalstadt der Welt erstmal wieder gen Norden verlassen.
Ich moechte naemlich nach Puerto Natales. Der Grund dafuer ist die bisher groesste Herausforderung auf meiner Reise: Torres del Paine.
Drueckt mir die Daumen dafuer!
Hasta la vista
Wolfgang
2 Kommentare:
Lieber Wolfgang,
auf welchem Gletscher Du auch bist, wir, Deine alten BauTech-KollegInnen, vervollständigt durch Hedda, Barbara Frenz und Ulrich Wittwer, wünschen Dir alles Gute zum Geburtstag. Viele von uns alten Recken wollen Dich auf Deiner Reise mittels Blog begleiten, deshalb wird Deine Leserschar gewaltig anwachsen.
Sei Herzlichst gegrüßt von uns allen!
Hallo Wolgang,
herzlichen Glückwunsch, dieses ist ein Test
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